Heute nehme ich Sie mit auf eine spannende Reise zurück in die frühen 1970er Jahre, genauer gesagt ins Jahr 1972. Damals durfte ich als Programmierer die Olivetti P652 hautnah erleben und mitgestalten. Es gab zu dieser Zeit die Großrechner, die ganze Räume füllten, die von Heerscharen von Operatoren und Programmierern beerrscht wurden und die nur von Großunternehmen mit hoher Finanzkraft eingesetzt worden sind. Sie waren unglaublich teuer in der Anschaffung und auch die Kosten für Wartung und Service waren immens hoch.
Es gab aber auch einen Vorläufer des heutigen PCs, einen "Mikrocomputer", der die Arbeitsweise in Büros und technischen Abteilungen revolutionierte.
Die P652: Ein Blick auf die Hardware-Pionierarbeit
Die Olivetti P652, 1973 auf den Markt gebracht, war ein beeindruckendes Stück Ingenieurskunst, entworfen von der Design-Legende Mario Bellini. Mit ihren rund 32 Kilogramm war sie ein echtes Schwergewicht auf dem Schreibtisch. Unter der Haube werkelte keine einzelne CPU, wie wir sie heute kennen, sondern eine aufwendige Logik aus TTL-Schaltkreisen – eine Art "verdrahteter" Prozessor, der seine Befehle in einer Assembler-ähnlichen Sprache ausführte.
Der Speicher war im Vergleich zu heute winzig: Standardmäßig nur 4 Kilobyte RAM, erweiterbar auf maximal 32 Kilobyte. Daneben gab es 4 Kilobyte ROM, die beispielsweise für fest einprogrammierte mathematische Funktionen genutzt wurden. Man kann sich kaum vorstellen, was man mit so wenig Speicher alles anstellen musste!
Die Ein- und Ausgabe war damals auch eine eigene Welt: Neben einem integrierten Thermodrucker diente oft eine elektrische Schreibmaschine, etwa die Olivetti Editor 4ST, als Hauptschnittstelle. Auch Lochstreifenleser und -stanzer waren gängige Peripheriegeräte.
Die Evolution der Datenspeicherung: Vom Magnetstreifen zur Festplatte
Besonders spannend war die Entwicklung der Datenspeicherung:
Anfangs waren Magnetkarten das A und O. Um einen Kundenauftrag zu bearbeiten, musste man zuerst die Magnetkarte des Kunden einlesen und danach für jeden einzelnen Artikel im Auftrag eine separate Artikel-Magnetkarte! Das war ein manueller, aber damals revolutionärer Prozess, der immense Disziplin erforderte. Verloren gegangene oder falsch eingelegte Karten konnten das ganze System zum Stillstand bringen.
Ein großer Fortschritt war die Einführung der MLU (Magnetbandeinheit). Plötzlich konnten größere Datenmengen sequenziell gespeichert werden, was die manuelle Handhabung der Einzelkarten obsolet machte. In einer Kassette wurde ein Magnetisches Band, welches einen geschlossenen Loop bildete, vorwärts und Rückwärts bewegt um auf die gespeicherten Blöcke (analog der Magnetkarte) zuzugreifen.
Der nächste große Schritt war dann die Festplatte (DAS600). Diese bot erstmals einen schnelleren, direkten Zugriff auf die Daten – ein Meilenstein für die Effizienz der Auftragsbearbeitung und die Komplexität der Programme. Mit 600kByte war die Kapazität nach heutigen Maßstäben aber auch hier sehr beschränkt. Die Zugriffszeiten waren aber im Vergleich zum vorher praktizierten manuellen Handling von Magnetkarten oder auch dem Zugriff auf die Blöcke der MLU aber zu dieser Zeit sensationell.
Doch weder bei der MLU noch bei der DAS600 gab es eine Dateistruktur; wie wir sie heute kennen. Es war eher ein automatisierter Stapel von Magnetkarten. Es gab keine Dateien im heutigen Sinn - Es gab Blöcke, die durch das Programm abrufbar gewesen sind. Der Programmierer musste einen bestimmten Block adressieren und bekam diesen dann in den Speicher übertragen. Er konnte dann auf die in diesem Block gespeicherten Daten zugreifen.
Programmieren mit Herz und Hirn: Der Kampf um jeden Byte
Als Programmierer auf der P652 war man ein echter Pionier. Programme wurden in einer Assembler-ähnlichen, symbolischen Sprache geschrieben, direkt am Puls der Hardware. Es gab keine höheren Programmiersprachen wie wir sie heute kennen; jeder Befehl musste präzise sitzen.
Der extrem geringe Speicherplatz war eine ständige Herausforderung, besonders bei Anwendungen wie Programmen für den Tourenfahrverkauf eines Joghurtherstellers, einem Großhändler für Zeitschriften oder der Abonnentenverwaltung eines Modellbahnmagazins. Solche Programme wurden von Olivetti als Standardprogramme verkauft – eine Herausforderung für Programmierer! Es gab ja kein Internet und jede Programmänderung musste bei jedem Kunden vor Ort per Magnetkarte eingespielt werden. Das Ausrollen einer neuen Version war jedes Mal eine große Herausforderung.
Die Daten wurden in Registern abgelegt. Ein Register konnte eine Zahl und einen Exponenten im Bereich -99 und +99 speichern. Wir haben seinerzeit damals eine Technik entwickelt und bei Olivetti in Frankfurt eingeführt: Werte zwischen Null und 99 wurden als Exponent zusammen mit einer anderen Zahl in einem Register kombiniert. Damit konnte man zwei Datenfelder in einem Register unterzubringen. Solche Tricks waren entscheidend, um überhaupt komplexe Anwendungen auf dieser Hardware zu realisieren. Datenfelder hatten keine Namen und auch keinen Datentyp - sie waren lediglich in Registern gespeicherte Information. Man musste das System buchstäblich in- und auswendig kennen.
Debugging mit roter Lampe: Die Kunst der Fehlersuche
Und dann war da das Debugging – ein Kapitel für sich! Heute erhalten wir detaillierte Fehlermeldungen, die uns direkt zur Problemstelle führen. Damals? Wenn ein Programm auf einen Fehler lief – sei es eine Division durch Null oder ein Speicherzugriffsfehler – leuchtete einfach eine einzige rote Lampe auf. Keinerlei Hinweis auf die Ursache.
Der Programmierer musste dann das Programm Befehl für Befehl manuell abrufen und nachvollziehen, um den Fehler zu finden. Das war bei komplexen Programmen eine zeitraubende und extrem mühsame Detektivarbeit, die enorme Konzentration, Logik und Geduld erforderte.
Es gab damals den Joke, wenn man vor einer roten Ampel im Auto gewartet hat: "Die Ampel wird durch eine P652 gesteuert".
Fazit: Eine Ära der Innovation und des Einfallsreichtums
Die Olivetti P652 war weit mehr als nur ein Tischrechner. Sie war ein Symbol für den Beginn der dezentralen Datenverarbeitung und die Vision von Computern, die direkt im Büroalltag eingesetzt werden konnten. Meine Zeit als Programmierer auf diesem System war geprägt von Herausforderungen, aber auch von einem unglaublichen Gefühl der Innovation und des kreativen Problemlösens. Es war eine Ära, in der jeder Byte zählte und jeder Programmierer ein kleiner Hardware-Hacker sein musste, um die Maschinen an ihre Grenzen und darüber hinaus zu treiben.
Es ist faszinierend zu sehen, wie weit wir in der Computertechnologie gekommen sind, wenn man bedenkt, wo wir 1972 standen.